Deutschland muss sich für hybride Kriege wappnen
Kriege werden heute auch hybrid geführt. Diese Erkenntnis muss als Teil der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie die Grundlage für die Selbstverteidigung unserer demokratischen Ordnung sein.
Zum Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine rollten regelmäßig prorussische Autokorsos durch viele deutsche Städte. Die Teilnehmer machten aus ihrer Sympathie keinen Hehl: Wladimir Putin ist trotz, ja sogar wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine ihr Held. Sie sind nicht allein. In Frankreich erlangte Marine Le Pen in der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl am vergangenen Sonntag über 40 Prozent der Stimmen. Ihre rechtsextreme Partei hat finanzielle Unterstützung aus Russland erhalten, Putin empfing sie im Kreml mit protokollarischen Ehren.
Beide Vorgänge zeigen: Die Auseinandersetzung zwischen dem autoritären Weltbild eines Wladimir Putin und den Prinzipien der offenen Gesellschaft und der liberalen Demokratie finden nicht nur auf den Schlachtfeldern der Ukraine, sondern mitten unter uns statt. Autoritäre Regime von Moskau bis Peking versuchen gezielt, Demokratien zu unterwandern und zu destabilisieren. Sie nutzen eine ganze Reihe unterschiedlicher Instrumente, die sie geschickt kombinieren: Cyberangriffe, Desinformation und Propaganda und die Finanzierung von Interessengruppen oder extremistischen Parteien sind zentrale Angriffspunkte einer hybriden Kriegsführung, mit der Diktaturen ihre Repression nach innen verschleiern und ihre Aggression nach außen begleiten.
Durch Lügen, Verwirrung und Mehrdeutigkeiten werden Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen überdeckt. Zweifel an den Institutionen und der Handlungsfähigkeit der Demokratie eröffnen einen Raum, in dem sich autoritäre Herrscher als starke Führungspersönlichkeiten inszenieren können. Um diese Ziele zu erreichen, nutzen autoritäre Regime gezielt die Freiheiten aus, die sie ihren eigenen Bürgerinnen und Bürgern verwehren.
Selbstverständlich können sich Menschen russischer Herkunft in Deutschland auch mittels russischer Medien informieren. Wenn sich daraus jedoch eine dauerhafte Abkapselung bestimmter Milieus ergibt, deren Angehörige im Wohnzimmer ausschließlich die Staatspropaganda einer Diktatur empfangen und anschließend im Wahllokal über die Geschicke einer Demokratie mitentscheiden sollen, dann gerät die Demokratie ins Hintertreffen. Seit Anfang März ist die Ausstrahlung russischer Propaganda-Maschinen wie RT und Sputnik in der Europäischen Union untersagt. Dieses weitreichende Vorgehen mag angesichts der akuten Angriffe in der Ukraine gerechtfertigt sein. Doch langfristig müssen russischsprachige Bürgerinnen und Bürger besser durch mediale Angebote erreicht werden, die eine ausgewogene Information gewährleisten. Sowohl die Öffentlichkeitsarbeit des Staates als auch journalistische Angebote in russischer Sprache müssen ausgeweitet werden. Die Deutsche Welle muss ihre fremdsprachigen Angebote endlich auch im Inland senden dürfen.
Liberale Demokratien werden gegen die Angriffe autoritärer Regime langfristig nur erfolgreich sein, wenn sie ihre eigenen Werte selbstbewusst vertreten. Das Auswärtige Amt erarbeitet derzeit eine neue Nationale Sicherheitsstrategie. Dabei geht es zentral um die Sicherheit unserer Freiheit und die Widerstandsfähigkeit unserer Demokratie. Der Angriffskrieg gegen die Ukraine muss Anlass sein, diese Aspekte zu Schwerpunkten der Nationalen Sicherheitsstrategie zu machen.
Die innere Stärke unserer demokratischen Werteordnung ist dabei nicht nur in Gefahr, wenn Einwanderer aus Russland Putins Staatspropaganda konsumieren. Sie ist auch in Gefahr, wenn die deutsche Politik die hybride Kriegsführung entsprechender Akteure nicht ernst nimmt oder gar selbst dabei mitspielt. Wenn unter anderem deutsche Ministerpräsidenten wie Markus Söder und Manuela Schwesig den russischen Corona-Impfstoff Sputnik V bestellen, ohne die mediale und geopolitische Strategie hinter dem Vakzin zu beachten, machen sie sich zu Handlangern der russischen Propaganda. Staatliche und private Akteure in Deutschland müssen ihre Naivität ablegen, die Absichten autoritärer Akteure besser verstehen und sich dagegen verteidigen.
Um die Sicherheit unserer Freiheit und die Resilienz unserer Demokratie zu schützen, müssen demokratische Willensbildungsprozesse besser geschützt werden. Die Infrastruktur von Wahlbehörden, Parteien sowie Kandidatinnen und Kandidaten muss als kritische Infrastruktur besser vor Cyberangriffen geschützt werden. Die Regeln zur Parteienfinanzierung müssen in demokratischen Staaten harmonisiert und gemeinsam durchgesetzt werden. Die Präsenz deutscher Vertreterinnen und Vertreter im Ausland sowie in den Sozialen Medien muss einem gemeinsamen Verständnis zur Abwehr hybrider Angriffe folgen.
Ein solches Verständnis muss als Teil der neuen Nationalen Sicherheitsstrategie die Grundlage für die Selbstverteidigung unserer demokratischen Ordnung sein. Es kann dazu beitragen, die Akteure zur Abwehr hybrider Kriegsführung an einem Tisch zu versammeln. Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine arbeitet die Ampel an einem neuen Sicherheitskonzept für Deutschland. Außenministerin Annalena Baerbock legt Bekenntnisse ab, die früher für eine Spitzen-Grüne ungewöhnlich gewesen wären. Politik und Verwaltung, Nachrichtendienste, Bundeswehr, Diplomatie, Cyberabwehr, Wissenschaft und Journalismus müssen ihre Erkenntnisse und Strategien zur Abwehr hybrider Gefahren besser miteinander abstimmen. In anderen europäischen Staaten sowie in der EU gibt es längst Arbeitseinheiten, die sich um die Abwehr von hybrider Kriegsführung aus autoritären Staaten kümmern.
Die Widerstandskraft der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg hängt vor allem auch mit ihrer inneren Stärke zusammen. Davon sollte sich Deutschland eine Scheibe abschneiden.