Positionspapier: Für einen Neustart der Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich

Seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) zum 1. Januar 2021 hat sich die Lage in Europa verändert. Von der Corona-Pandemie bis hin zur Erschütterung der europäischen Friedensordnung durch Russlands völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine – seit dem Brexit wurde der europäische Kontinent von einer globalen Krise in die nächste geschleudert. Mit der Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus steht Europa eine neue Ära bevor: Europa wird mehr für die eigene Sicherheit tun müssen. Der Charakter der NATO und der transatlantischen Partnerschaft verändern sich. Auch die wachsende Rivalität mit der Volksrepublik China, die die europäischen Volkswirtschaften durch staatlich subventionierte Überproduktion unter massiven Druck setzt und mit gezielten Investitionen chinesischer Staatsunternehmen in die kritische Infrastruktur die innere Sicherheit Europas untergräbt, bedeutet große Herausforderungen. Das System des freien Handels, auf das wir in Deutschland, in der EU und im Vereinigten Königreich den Wohlstand unserer Gesellschaften aufgebaut haben, wird durch protektionistische Handelspraktiken und drohende Zollspiralen gefährdet.

Der Regierungswechsel im Vereinigten Königreich im vergangenen Sommer hat nach einer langen Zeit des Europaskeptizismus vergangener konservativer Regierungen ein neues Kapitel in der Beziehung zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU eingeläutet. Es gilt nun, das Momentum des unter Premierminister Starmer verfolgten pragmatischen, partnerschaftlich ausgerichteten Ansatzes zu nutzen und einen Neustart der Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU zu verfolgen. Es liegt im ureigenen Interesse Deutschlands, der EU sowie des Vereinigten Königreichs, auf den Pfad der Kooperation zurückzukehren und die bevorstehenden globalen Herausforderungen gemeinsam anzugehen.

Deutschland und die EU brauchen einen Fahrplan für eine engere Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich, an dessen Ende auch eine Rückkehr des Vereinigten Königreichs in die EU stehen kann. Dazu sind folgende Punkte erforderlich:

  • 1. Sicherheitspartnerschaft ausbauen: Nicht zuletzt seit Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine ist klar, dass Europa mehr für die eigene Sicherheit tun muss, um sich besser gegen konventionelle wie hybride Angriffe zu wappnen. Und spätestens mit Beginn der zweiten Amtszeit von Präsident Trump und seiner Beschleunigung der ohnehin längst stattfindenden sicherheitspolitischen Refokussierung der USA auf den Indopazifik nimmt Amerika die europäischen Staaten nun mit Nachdruck in die Pflicht, endlich mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen. Drängendste gemeinsame Aufgabe für das Vereinigte Königreich und die EU- Mitgliedsstaaten ist jetzt also, den europäischen Pfeiler der NATO zu stärken. Ein Beitritt Deutschlands zur von Großbritannien geführten Joint Expeditionary Force wäre in diesem Zusammenhang ein wichtiger Fortschritt. Auch ist die Möglichkeit der Teilnahme Großbritanniens an EU-Missionen zu prüfen. Die neue US- Administration hat ebenfalls unmissverständlich klargemacht, dass im Falle eines Waffenstillstands in der Ukraine Europa für dessen Sicherung zuständig sein wird. Die bereits angelaufenen Bemühungen, die Sicherheitskooperation zu vertiefen, etwa durch die zwischen Deutschland und Großbritannien beschlossene Trinity House Vereinbarung oder die erste Teilnahme eines britischen Regierungschefs an einer informellen Tagung des Europäischen Rats seit Brexit bieten eine erste Grundlage, auf die zügig aufgebaut werden muss. In diesem Zusammenhang ist der für Mai angesetzte und von Großbritannien initiierte Brexit-Reset Gipfel ein starkes Bekenntnis für Londons Bereitschaft, in eine fruchtbare Partnerschaft mit der EU zu investieren.

  • 2. Engere Zusammenarbeit in Bereichen gemeinsamen Interesses: Auch abseits der Sicherheit und Verteidigung in Europa sollten weitere Bereiche gemeinsamen Interesses ausgelotet und pragmatische Wege der Zusammenarbeit gefunden werden. Gerade angesichts der Wiederverhängung von Strafzöllen und einem drohenden Handelskrieg ist es im Kerninteresse der EU und des Vereinigten Königreichs, eine abgestimmte Haltung zu entwickeln und durch einen möglichst reibungslosen Handel zwischen beiden Seiten des Ärmelkanals zumindest auf dem europäischen Kontinent den freien Handel hochzuhalten. Die Schaffung einer EU-UK-Zollunion zur Ankurbelung eingebrochener Handelstätigkeiten könnte hier große Fortschritte bringen und auch ein gemeinsamer Ansatz zur Revitalisierung der Welthandelsorganisation (WTO) könnte besser Wirkung entfalten. Ebenfalls könnten beide Seiten von einer verstärkten Zusammenarbeit zu Themen wie Migration, Cyber- und Energiesicherheit, Kultur oder Klima und profitieren und über gemeinsame Projekte in diesen Bereichen verlorengegangenes Vertrauen wiederaufbauen. Dafür sollte Deutschland auch bei anderen EU-Mitgliedstaaten werben.

  • 3. Vernetzung der jungen Generationen fördern: Unverschuldet Leidtragende des Brexits und dessen besonders harter Auslegung durch die britischen Regierungen der letzten fünf Jahre sind Jugendliche und junge Erwachsene. Deren Chance, über den europäischen Kontinent hinweg mittels Schulaustauschen, Jugendprojekten oder Erasmus+ in die jeweils anderen Kulturen einzutauchen und wertvolle Lebenserfahrung zu gewinnen, wurde durch den Brexit jäh gekappt. Unseren Jugendlichen und Studierenden wieder die Möglichkeit zum Austausch und Kennenlernen zu geben, würde ihnen neue Perspektiven eröffnen, unsere Gesellschaften bereichern und auch in gemeinsamen Herausforderungen wie etwa des Fachkräftemangels Lösungsansätze bieten. Konkrete Ansätze könnten eine zweijährige Schengen-Visafreiheit für 18-35-jährige Briten zur Förderung des Austauschs und der Vernetzung junger Menschen unabhängig von formellen Studienaufenthalten sowie eine generelle Visafreiheit für kurze Austauschprogramme im Kontext der staatlichen Schulbildung sein. Ebenfalls sind Angleichungen in weiterführenden Bildungsnachweisen, etwa durch die gegenseitige Anerkennung von Zertifikaten und Auszeichnungen wie auch der Aufbau gemeinsamer Aufbaustudienprogramme, zu prüfen.

  • 4. Tür für das Vereinigte Königreich offenhalten: Als enger Partner und wichtiger europäischer Nachbar muss es eine Perspektive für die Rückkehr des Vereinigten Königreichs in die Europäische Union geben. Gleichzeitig ist klar, dass es keinen Ausverkauf des Binnenmarktes geben darf und die Grundfreiheiten unteilbar sind, denn der Erfolg der EU hängt von der Einhaltung und Verteidigung gemeinsamer Spielregeln ab. Das beste Partnerschaftsmodell wäre eine Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union. Die zuständigen EU-Institutionen und Deutschland als größter Mitgliedstaat sollten diesen Pfad deutlicher aufzeigen.

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