Hilfe für die Vertriebenen aus der Ukraine
Wir müssen den Ukrainern schnell helfen. Gleichzeitig sollten wir das Gemeinsame Europäische Asylsystem endlich reformieren:
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine erschüttert Deutschland, Europa und die Welt. Angesichts der Kampfhandlungen sind nach UN-Angaben bereits innerhalb weniger Tage knapp zwei Million Ukrainerinnen und Ukrainer über Polen, die Slowakei, Ungarn und Rumänien in die Europäische Union geflohen. Angesichts der fortschreitenden Eskalation durch den Kreml werden es in näherer Zukunft noch deutlich mehr werden. Schätzungen gehen von bis zu sieben Millionen Vertriebenen aus. Es ist zu beobachten, dass besonders viele Menschen aus der Ukraine zunächst über die 500 km lange gemeinsame Grenze nach Polen fliehen. Dort gibt es eine hohe Aufnahmebereitschaft, da bereits jetzt viele Ukrainer in Polen arbeiten, studieren oder dort Verwandte haben.
Kein europäisches Land darf in der aktuellen Situation mit Massenzuströmen alleingelassen werden, daher müssen wir Polen und andere Nachbarländer der Ukraine logistisch und in Hinblick auf die Versorgung der Vertriebenen unterstützen. Infolge der sich weiterhin zuspitzenden Lage in der Ukraine ist es bereits jetzt absehbar, dass auch auf Deutschland und andere EU-Staaten die Aufnahme zahlreicher Flüchtlinge aus der Ukraine zukommt. Darauf muss Deutschland vorbereitet sein. Ein wichtiges Instrument ist in diesem Kontext die Aktivierung der so genannten EU-Massenzustrom-Richtlinie durch den Rat der Europäischen Union. Dieses bisher nie angewandte Instrument ist für Situationen wie diese konzipiert: Ein Krieg in Europa, der zu so einer massiven Vertreibung von Menschen führt, dass sich die Frage nach einer individuellen politischen Verfolgung im Sinne des Asylrechts nicht stellt. Mit der Richtlinie ist eine unbürokratische Aufnahme der Vertriebenen in der gesamten EU möglich und den Betroffenen kann schnell die nötige Hilfe zukommen. In Deutschland wird die Umsetzung der Richtlinie in § 24 des Aufenthaltsgesetzes geregelt. Das Bundesinnenministerium arbeitet derzeit an weiteren Regeln, die einen schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt und zum Bildungssystem für die Vertriebenen ermöglichen. Auch eine zügige und flächendeckende Registrierung der Vertriebenen muss gewährleistet sein.
Deutschland und die Europäische Union dürfen allerdings das Ausmaß und die mögliche Dauer des Konflikts nicht unterschätzen. Die Zahl der Vertriebenen kann sich leicht zur größten Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg entwickeln. In einer solchen Situation braucht es die Bereitschaft, Menschen direkt aus Nachbarstaaten der Ukraine in andere Staaten zu bringen. Insbesondere in kleineren Staaten wie der Republik Moldau darf der anhaltende Zustrom nicht zu einer Destabilisierung führen.
Ein weiterer Aspekt liegt darin, dass durch unsere wirtschaftlichen Sanktionen gegen die russische Föderation immer mehr Menschen in Russland vom Krieg in der Ukraine und den Gräueltaten, die Wladimir Putin dort befiehlt, erfahren. Schon jetzt formiert sich Protest im Land. Es wird vorkommen, dass jetzige oder ehemalige Angehörige des russischen Sicherheitsapparats oder staatlicher Behörden entscheiden, das Land zu verlassen. Auch diesen Menschen sollte die EU in Aussicht stellen, dass eine bevorzugte Bearbeitung ihrer Asylverfahren in Betracht kommt. Wer den Mut hat, sich in Russland gegen Putins Regime zu stellen, muss Asyl in der Europäischen Union bekommen.
Die aktuelle Krise macht zudem auch wieder einmal deutlich, dass es einer Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) bedarf, denn auch die EU-Mitgliedsstaaten wie Italien, Spanien oder Griechenland dürfen mit Flüchtlingsströmen nicht alleine gelassen werden. Eine Koalition aufnahmebereiter Mitgliedstaaten ist auf diesem Weg ein erster Schritt. Es braucht innerhalb Europas ein solidarisches und EU-einheitliches Vorgehen, klare Regeln und faire Verteilung von Verantwortung und Zuständigkeit bei der Aufnahme zwischen den EU-Staaten. Denn ein gemeinsames Migrations- und Asylsystem ist Grundvoraussetzung für offene Binnengrenzen innerhalb der EU.
Dazu müssen wir innerhalb Deutschlands die Asylverfahren beschleunigen und mehr Kapazitäten für Menschen schaffen, die wirklich Hilfe brauchen. Deswegen sollten wir zügig den im Koalitionsvertrag verabredeten Sonderbevollmächtigen für Migrationsabkommen einsetzen. Außerdem ist es wichtig, dass wir die Kommunen bei der Integrationsarbeit nicht allein lassen. Integrationskurse sowie Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt sind hier essentielle Stellschrauben.